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Gewaltlos

Version vom 17. Dezember 2019, 13:37 Uhr von GS ZHSHGL (Diskussion | Beiträge) (Angsz überwinden und endlich frei sein und der sündenbock eingefügt)


Thematischer Arbeitsplan für Jungschargruppen ab 12 Jahren.

Liebe Cevi-Leiterin, lieber Cevi-Leiter

<How many times must the cannon-balls fly before they're forever banned? The answer my friend, is blowin'in the wind, the answer is blowin'in the wind.>> Von diesem Wind ist in diesem Arbeitsplan <Gewaltlos> eigentlich nicht die Rede. Franz Hohler hat das bekannte Lied von Bob Dylan so übersetzt: <Wie viel Bombe si scho usem Himmel gheit, wenn chunt die letschti ändlech dra? Dr ein- zigwo das weis, isch eine wos nit seit, dr einzig wo das weis, isch de Wind.> Wir wollen in diesem Arbeitsplan von der Kraft (power) reden, die uns hilft, die Gewalt (violence) zu überwinden. Dazu kann uns durchaus ein <Wind> helfen: Gott wird oft in der Bibel durch einen Wind, Hauch, Odem oder Geist eingeführt. Schon dem ersten Menschen hauchte er das Leben ein und liess an Pfingsten durch ein gewaltiges Wehen den Heiligen Geist auf uns Menschen herabfahren. Gewalt, die uns Menschen zerstört, können wir niemals annehmen. Dieser Gewalt müssen wir mit aller Kraft die Gewaltlosigkeit entgegenhalten. Davon soll in diesem Arbeitsplan.die Rede sein: Von verschiedenen Gewalttätigkeiten, denen die Jugendlichen ab zwölf Jahren begegnen, und von der Kraft und der Einstellung, mit der wir uns dieser Gewalt widersetzen können. Wir danken allen, die an diesem Arbeitsplan mitgedacht und mitgearbeitet haben. Einiges zum Thema haben wir hier zusammengetragen, weiteres und ähnliches lässt sich leicht finden. Den Jungschar-Leiterinnen und Leitern wünschen wir eine echte und persönliche Auseinandersetzung mit ihren jugendlichen und viel Freude bei der Arbeit mit diesem Plan.

Hansruedi Vetsch v/o Haru


Einleitung

Ein Irrtum zum Anfang

In der Geschichte des Christentums, bis zum heutigen Tag, gibt es viele Beispiele zum Thema Gewalt und Glaube. Doch eines muss klargestellt werden: Wo Gewalt im Namen des christlichen Glaubens ausgeübt wird, muss ein Irrtum vorliegen; denn christlicher Glaube und Gewaltanwendung schliessen sich schlichtweg aus.

Grundsätzlich ist das für jeden Christen aufgrund der Botschaft von Jesus Christus auch einleuchtend. Und doch brachen und brechen immer wieder Formen der Gewalt aus dem christlichen Umfeld aus. Im frühen Mittelalter waren dies die Kämpfe um die Anerkennung als Religionsgemeinschaft, später die Kreuzzüge zur Eroberung des sogenannten Heiligen Landes, und in diesem Jahrhundert sind es die Kämpfe der Unterdrückten in Lateinamerika, unterstützt von der Befreiungstheologie, oder die Streitereien unter den verschiedenen christlichen (Frei)Kirchen und vieles mehr. Die letzten Beispiele zeigen, dass wir den anfangs klargestellten Irrtum nicht einfach so vom Tisch wischen können. Wir alle, ob jung oder alt, Mann oder Frau, reich oder arm, gesund oder krank ... unterliegen der Versuchung, Gewalt anzuwenden. Oft ist die Gewalt versteckt und wird als solche kaum erkannt.


Wir wachsen in einer Welt auf, in der Gewalt einfach dazu gehört. Im Sandkasten, auf dem Pausenplatz, auf dem Fussballplatz, in der Geschäftswelt, in unserem Land und auch weltweit:

Der Gewalt stellt Jesus Christus seine Botschaft der uneingeschränkten Nächstenliebe entgegen. Diese Botschaft scheint nicht in unsere Welt zu passen, weil sie so unrealistisch ist. Und doch wären wir ohne sie verloren, weil sie unsere einzige Hoffnung ist.




Gewalt = Machtmissbrauch?!

Gewalt hat auch mit Machtmissbrauch zu tun und ereignet sich dort, wo jemand seine Stärke zum Schaden anderer einsetzt. Deshalb müssen wir uns immer wieder fragen: Wo habe ich Macht über andere, wo nehme ich an der Macht anderer teil, wo nutze ich diese Macht aus oder wo leide ich darunter, dass andere mächtiger sind als ich.

Oft fällt es schwer, diesen Gefühlen nachzugehen und sie dann ehrlich zu akzeptieren. Solange wir uns hinter einer Maske verbergen und uns, wie ein Chamäleon, der Umgebung anpassen, wird es uns nicht gelingen, mit den eigenen Gefühlen umzugehen.

"Ich bin jähzornig, ich bin ungeduldig, ich kann das nicht leiden ... Zu den eigenen Gefühlen stehen, ist der Anfang eines bewussten Umgangs mit der Macht.

Gerade uns Christen fällt es schwer, zu den sogenannt negativen Gefühlen, wie Zorn, Wut, Aggression, Hass u.a. zu stehen. Es erstaunt uns vielleicht, dass auch Jesus zornig und wütend reagieren konnte:

Jesus ging in den Tempel und trieb alle Händler und Käufer aus dem Tempel hinaus; er stiess die Tische der Geldwechsler und die Stände der Taubenhändler um (Matthäus 21,12).

Diese und weitere Stellen in der Bibel, z.B. Verfluchung des Feigenbaumes (Matthäus 21,18-22), Gespräch mit Petrus (Matthäus 16,23) u.a. sollen uns helfen, einen ehrlichen Zugang zu unseren Gefühlen zu finden.

Es wird uns Menschen nie gelingen, ohne Gewalt leben zu können. Wir brauchen die tägliche Bitte im "Unser Vater", um Vergebung unserer Schuld.

Der ehrliche Umgang mit uns selber wird uns helfen, unsere eigenen Schattenseiten früher zu erkennen und einen Raum für neue Visionen von Liebe und Versöhnung zu schaffen, in deren Mittelpunkt das neue Gebot der Fein- desliebe steht (Matthäus 5,44).


In diesem Arbeitsplan beschränken wir uns auf die zweite und für uns Menschen so folgenschwere Bedeutung:

Gewalt ist rücksichtslos angewandte Macht.



... und oft bin ich so allein!


Alle gegen einen

Nun sitz ich am Boden in die Enge gedrängt von den anderen die denken,'sie seien besser,

grösser und stärker als ich.

Was kann ich dafür,

dass ich nicht so gut bin wie sie, kleiner als sie bin

und schwächer?

Es gibt vielleicht mehrere Antworten, aber nur eine Frage:

Warum?

(Sonja 14 Jahre)


So nicht

(Stimmen der Jugendlichen auf dem Bild)


links Was ist denn das für einer?

nächster Das ist ein Schwarzer!

nächster Kommt, dem jagen wir Angst ein!

nächster Nein, lasst ihn in Ruhe!

nächster Er hat recht, lasst ihn in Ruhe, ihr Rassisten!

nächster Sei du ruhig oder ich schlage dir ins Gesicht!

nächster Ich gehe! Ich bin nicht mehr in eurer Clique!


(Matthias, 14 Jahre, selber dunkelhäutig)

Der Sündenbock

Am "Jom Kippur-Versöhnungsfest, dem höchsten jüdischen Festtag, legte der Hohepriester einem Ziegenbock die Hände auf und übertrug ihm so die Sünden des ganzen Volkes. Der Sündenbock wurde dann in die Wüste gejagt. Durch diesen Brauch wurde das Volk von seinen Sünden befreit und mit Gott versöhnt.

Immer wieder werden Menschen oder Menschengruppen zu Sündenböcken. Der Kaiser Nero hat in seinem Wahn Rom anzünden lassen und die ersten Christengemeinden dafür verantwortlich gemacht; Hitler hat in seinem Irrsinn die Juden verteufelt, und heute ...

... sind es die Aussenseiter oder Aussenseitergruppen, die als Sündenböcke herhalten müssen: Mal sind es die Ausländer, dann die Jugendlichen, mal sind es die Reichen, dann die Armen.

In jedem Dorf, in jeder Klasse, in jeder Jungschar gibt es Aussenseiterinnen und Aussenseiter. Wie ist das bei euch?





 


Der Schritt zurück

Er stand ganz am Rand. Unter ihm die gleissende Wasseroberfläche. Wie geschmolzenes Blei sah es aus. In seinen Schläfen hämmerte es. Er hatte Angst, nackte Angst. Hinter sich hörte er die Stimme seines Trainers: <Spring!> Das Pochen nahm zu, gleich musste es seinen Kopf sprengen. Zwischen ihm und der Wassermasse gab es nur dieses kleine schwankende

Brett, zehn Meter hoch.

Leute starrten nach oben. Sie warteten. Ihre Gesichter waren feindlich. Trotzdem fühlte er sich ihnen verpflichtet. Er musste springen, damit sie ihre Sensation bekamen. Er fühlte, dass er es nicht schaffen würde. Er war noch nicht soweit. Aber er musste beweisen, dass er ein Mann war. Lieber tot sein, als sich vor diesen Gesichtern blamieren. Nur noch ein paar Sekunden atmen, dachte er, mehr verlange ich gar nicht. Er blickte nach unten. Warum lächelte niemand? Lauter gespannte weisse Ovale mit harten Augen. Sie wissen,  dass ich es nicht kann. Es wurde ihm schlagartig klar. Sie wissen, dass etwas passieren wird. Warum rief ihn niemand zurück? Plötzlich tauchte ein neuer Gedanke in seinem Gehirn auf. Hatten so die Leute ausgesehen, die einer Hinrichtung beiwohnten? Waren ihre Augen so hart, so unbeteiligt gewesen? Ich bin doch einer von ihnen, wieso rufen sie mich nicht zurück? Sie wollen, dass ich mich selbst vernichte für sie. Sie verlangen, dass ich meine Angst bestrafe. Aber was werden sie nachher tun? Wenn es passiert ist, will niemand etwas dafür können.

In ihm kam das Bedürfnis auf zu schreien, die

Menschen da unten aus ihrer Straffe zu schreien. Sie sollten nicht das Recht haben, schuldlos an seinem

Unglück zu sein. Wenn sie geschrien hätten, die Opfer der Millionen Hinrichtungen, sie hätten ihnen dieses Recht genommen. Die Übelkeit in seinem Magen verstärkte sich, nicht mehr aus Angst, sondern aus Ekel vor der Feigheit der Masse da unten. Er hätte ausspucken mögen. Stumm, wie eine Herde blöder Schafe, standen sie da unten und warteten.

Aber wenn er jetzt sprang und sich für ihre Gier opferte, war er dann nicht auch so feig wie sie? Ein Schritt nur, ein Schritt. Er war so einsam. Hätte ihn jetzt jemand gerufen, wäre noch alles gutgegangen, aber sie schwiegen. Seine Verachtung stieg ins Unermessliche.

Er forschte in seinem Gewissen. Wenn er sprang, war irgend etwas damit erreicht? Tat er damit etwas Falsches? Etwas Richtiges? Er wusste, was er tun sollte, warum sträubte er sich dagegen? Aber war das Springen heldenhaft, hatte es einen Sinn? Ein Schritt nur! Sein Fuss schob sich langsam vor. Dann ging ein Ruck durch seine Gestalt. Er richtete sich auf und drehte sich um. Ganz bewusst. Seine Unsicherheit war von ihm gewichen, der Druck, der auf ihm lastete, verschwand. Langsam kletterte er die Leiter hinab und schritt durch die starre Gruppe.

Zum ersten Mal in seinem Leben trug er den Kopf hoch. Er begegnete den Blicken der anderen mit kühler Gelassenheit. Keiner sprach ein Wort oder lachte gar. Er fühlte sich so stark als hätte er gerade die wichtigste Prüfung in seinem Leben bestanden. Er spürte so etwas wie Achtung vor sich selbst. Eines Tages würde er auch springen, das wusste er plötzlich.

(aus: Geschichten zum Nachdenken, Chr. Kaiser Verlag, München und Matthias-Grünewald-Verlag, Mainz, 1977;vergriffen)

von Annette Rauert



Endlich frei sein

Freiheit ist ein Grundrecht von uns Menschen. Vieles kann uns von aussen diese Freiheit nehmen, Fremdeinwirkungen jeglicher Art.

Doch oft stehen wir uns selber im Wege: Die Unsicherheit über uns selber schränkt uns ein. Das kann schon bei Kleinigkeiten beginnen, etwa der Wahl eines Ausgangskleides. Bin ich schön genug?

Es gibt Jugendliche, die alles daran setzen, Kleider und Schuhe mit Marken zu besitzen. Sie geben dafür ihr Sackgeld her oder klauen in Warenhäusern. Max z.B. hat sich zum Geburtstag Blinker-Schuhe gewünscht. Jetzt ist er endlich in der Klasse angesehen. Eigentlich gefallen ihm diese Schuhe gar nicht besonders, aber er wollte umbedingt wieder zur Clique gehören.

Jeder kennt das Gefühl, etwas zu tun, was eigentlich nicht zu ihm passt, einfach um nicht aufzufallen, einfach um dabei zu sein. Wir investieren viel Kraft, Zeit und Energie, um unser Image aufrecht zu halten. um so zu sein, wie es die anderen von uns wünschen.

Dabei haben wir alles, was wir brauchen: Wir sind von Gott als vollkommene Geschöpfe geschaffen, auch mit all unseren Einschränkungen und Behinderungen.




Gott vertrauen befreit

Gott sieht uns mit anderen Augen als die Menschen um uns herum: Vor ihm brauchen wir uns nicht zu schminken und uns sonntäglich herauszuputzen. Er nimmt uns an, so wie wir sind. Unseren Wert können wir uns nicht erkaufen. Vor ihm sind wir wirklich alle gleich: Nackt, wie er uns geschaffen hat. Jesus hat dies treffend im Gleichnis zu den täglichen Sorgen dargestellt:


"Warum macht ihr euch Sorgen um das, was ihr anziehen sollt? Seht, wie die Blumen auf den Feldern wachsen! Sie arbeiten nicht und machen sich keine Kleider; doch ich sage euch: nicht einmal Salomo bei all seinem Reichtum, war so prächtig gekleidet wie irgendeine von ihnen. Wenn Gott sogar die Feldblumen so ausstattet, die heute blühen und morgen verbrannt werden, wird er sich dann nicht erst recht um euch kümmern? Habt doch mehr Vertrauen."

Matthäus 6, 28-30


Vertrauen ist der Schlüssel zu unserem Leben. Zu diesem Vertrauen gehört auch die Einsicht, dass Angst und Schwäche keine verachtenswerte Eigenschaften sind, sondern ein realer Teil des menschlichen Lebens.


Vertrauen ist auch das Schlüsselwort im Leitbild des Cevi Bundes:

 


Die Angst überwinden

Wenn Jugendliche sich von ihren angestammten Bindungen zu lösen beginnen, dann ist das oft der Beginn eines unsicheren Weges. Gleichzeitig suchen sie Anschluss an Gruppen von Gleichgesinnten. Dabei geben sie die gewonnene Selbständigkeit schnell wieder ab. Es ist eine Gratwanderung für viele, das richtige Mass zwischen Eigenständigkeit und Anpassung an eine Gruppe zu finden.

Beides muss sich nicht ausschliessen: Zu sich selber stehen und sich in eine Gruppe einfügen können. Jugendliche sind gerade in dieser Lebensphase einem enormen Druck verschiedenster Normen ausgesetzt. Gleichaltrige setzen diese Normen ebenso wie Erwachsene. Wer diesen Vorstellungen genügt, hat keine Mühe, ein gutes Selbstwertgefühl aufzubauen.

Aber dann gibt es auch einige, denen es aus irgendwelchen Gründen nicht gelingt, von der Gruppe akzeptiert zu werden. Ein Aussenseiter zu sein ist hart und gemein. Immer wieder versuchen sie mitzumachen und immer wieder werden gerade sie ausgestossen.

Auch wenn sie darüber weinen, ist ihnen niemand nahe, ebenso, wenn sie sich freuen.

Einige suchen Ersatzbeziehungen, zum Beispiel mit Tieren oder mit ausgefallenen Hobbies, andere versuchen durch extreme Überspielung etwas Aufmerksamkeit zu erhaschen. Wiederum andere müssen mit Gewalt auf sich aufmerksam machen oder fallen in ihrer Verzweiflung in eine Sucht.

Aussenseiter leben mit der Angst. Wer einem Aussenseiter helfen will, muss ihm in seiner Angst begegnen und sie mit ihm zuerst aushalten. Wenn das gelingt, kann der nächste Schritt folgen: miteinander langsam aus der Angst hervorkriechen in ein Leben mit Vertrauen.